Kapitel 5
Dante unterdrückte den Drang, vor Enttäuschung zu knurren.
Während seines überstürzten Ausflugs zu Selenas Haus hatte er sich auf diese Konfrontation vorbereitet. Er hatte sich nicht vorgemacht, dass Abby sich vor Freude überschlagen würde, wenn sie erfuhr, dass sie den Kelch für den Phönix darstellte.
Oder dass sie ihm dafür danken würde, dass er ihr die Wahrheit gesagt hatte.
Er hatte gewusst, dass sie aufgebracht sein würde, sogar hysterisch. Aber diese plötzliche Angst, die in ihren Augen aufgetaucht war, als sie vor ihm zurückgewichen war, reichte aus, um seine tiefsten Gefühle zu wecken.
Verdammt noch mal, warum machte es ihm etwas aus, wenn sie nun wieder dachte, er sei ein Ungeheuer? Er hatte über dreihundert Jahre an den Phönix gekettet überlebt, ohne sich auch nur einen Deut um Selena als Person zu scheren. Es sei denn, man zählte die köstlichen Träume, in denen er sie ausgesaugt hatte.
Sie war nicht mehr als die Frau gewesen, die ihn gefangen gehalten hatte. Die fassbare Quelle seines lodernden Zorns.
Aber Abby ...
Es spielte eine Rolle, wie er zähneknirschend zugeben musste. Es spielte eine verdammt große Rolle.
Widerstrebend erforschte er Abbys zartes, zu bleiches Gesicht und wusste, dass er alles tun würde, was nötig war, um ihr Leiden zu lindern.
»Bitte hör mir zu, Abby«, forderte er sie auf.
Sie schüttelte erneut den Kopf. »Nein, halt dich von mir fern.«
Sich fernhalten? Die Ironie dieser Worte sorgte dafür, dass sich seine Lippen zu einem bitteren Lächeln verzogen.
»Ich fürchte, das kann ich nicht tun. Wir sind nun aneinander gebunden. Keiner von uns kann den anderen verlassen. Das ist ein Teil des Zaubers.«
Abby starrte ihn entsetzt an, bevor sie die Augen abrupt zusammenkniff. »Jetzt weiß ich, dass du lügst. Du hast mich schon mal verlassen.«
»Ich war nicht weit weg, und es war klar, dass ich bald an deine Seite zurückkehren würde«, erwiderte Dante leise, wobei er ganz sacht auf sie zuging. »Hätte ich absichtlich zu fliehen versucht, dann wäre der Schmerz unerträglich gewesen. Glaube mir, ich habe es im Laufe der Jahrhunderte oft genug probiert, um mir sicher zu sein.«
Sie leckte sich die trockenen Lippen. »Nein.«
»Abby, kannst du mir ehrlich versichern, dass du meine Abwesenheit nicht gespürt hast? Tief in deinem Inneren?«
Die Wahrheit stand ihr in das blasse Gesicht geschrieben, aber sie schüttelte abwehrend den Kopf. »Das... kann nicht sein. Ich wüsste es, wenn irgendein Wesen in mir leben würde.«
»Möchtest du einen Beweis?«
Sie presste sich noch fester gegen die Holzverkleidung.
»Was meinst du?«
Dante streckte seine Hand aus. »Komm mit.«
Abby zögerte. Sie starrte lange auf seine Hand, bevor sie endlich ihre Finger auf seine legte. Dante fühlte eine Woge der Wärme angesichts der stillschweigenden Bezeugung ihres Vertrauens. Und eine weitere Woge, da er ihre weiche Haut auf seiner spürte.
Das war ein berauschendes Gefühl für einen Vampir, der schon seit einer Ewigkeit gefroren hatte.
Sanft führte er sie durch das Zimmer, zu dem großen Spiegel, der über dem Marmorkamin hing. Dann trat er hinter sie und legte ihr die Hände auf die Schultern.
»Sage mir, was du siehst«, befahl er leise.
Abby gab ein ungeduldiges Schnauben von sich.
»Ich sehe... oh.« Sie beugte sich nach vorn, um einen Blick in den Spiegel zu werfen. »Gott, du hast kein Spiegelbild.«
Dante verdrehte die Augen gen Himmel. »Natürlich nicht, ich bin ein Vampir.«
»Es ist bloß so merkwürdig.«
»Abby, sieh dich selbst an«, forderte er sie auf.
»Was? Willst du, dass ich sehe, was für ein Wrack ich bin? Ich habe eine Neuigkeit für dich: Das wusste ich schon.«
»Sieh dir deine Augen an.«
»Meine Augen? Ich...« Abby verstummte abrupt, als sie ihre zitternden Finger ausstreckte, um ihr Spiegelbild zu berühren. Und das war auch kein Wunder. Die sanften braunen Augen, die Dante schon immer fasziniert hatten, hatten einen leuchtend saphirblauen Ton angenommen. Den gleichen Blauton, der Selenas Augen gekennzeichnet hatte. Ein sichtbares Zeichen des Phönix, das Abby nun nicht länger bestreiten konnte.
»Nein. Nein, nein, nein.«
Sie taumelte nach hinten, direkt in seine Arme. Sanft drehte Dante sie um und drückte ihren Kopf an seine Brust, während er mit der Hand über ihre Locken streichelte.
»Ganz ruhig, Liebste«, flüsterte er. »Alles wird in Ordnung kommen.«
Ein heftiger Schauder überlief Abbys Körper. Dann nahm sie den Kopf zurück, um ihn mit einem wütenden Blick aus tränenfeuchten Augen zu durchbohren.
»Wie denn? Wie soll alles in Ordnung kommen? Ich habe irgendein... Wesen in mir.« Sie erschauderte jäh. »O Gott, darum wollten die Dämonen mich töten, oder?«
Dantes Arme schlossen sich noch fester um sie. Natürlich hatte er die Möglichkeit, sie anzulügen. Dann wäre sie ein paar Minuten lang wirklich getröstet. Aber er wusste, dass sie schließlich die Wahrheit erfahren musste.
»Ja. Sie haben den Geist in dir gespürt und auch die Tatsache, dass du verletzlich bist. Sie werden vor nichts haltmachen, um ihren Fürsten zurückzubekommen.«
Nackte Angst verdüsterte das Leuchten von Abbys neuen blauen Augen. »Ich werde sterben.«
»Nein«, schwor er in dem krampfhaften Versuch, sich der Realität zu verschließen. »Das lasse ich nicht zu.«
»Was glaubst du, wie lange können wir wohl gegen sämtliche Dämonen auf der Welt kämpfen? Es sei denn, du planst, dass wir uns die nächsten fünfzig Milliarden Jahre hierverstecken!«
Dante legte seine Finger unter Abbys Kinn und zwang sie, seinem ernsten Blick zu begegnen.
»Das wird nicht nötig sein. Mit jeder Stunde, die vergeht, gewinnt der Phönix an Stärke.«
»Der Phönix gewinnt an Stärke?« Sie lachte kurz und humorlos auf. »In mir? Soll das etwa beruhigend sein?«
Ein Anflug von Zärtlichkeit linderte den scharfen Zug in seinem Gesicht. »Ich meine nur, dass er bald imstande sein wird, sich zu verbergen, so dass die Dämonen seine Präsenz nicht fühlen können.«
Abby, die weit davon entfernt war, getröstet zu sein, betrachtete Dante misstrauisch. »Und was wird dieses Ding in mir noch tun?«
»Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen«, gab er widerwillig zu. »Selena sah mich nicht als ihren Vertrauten an. Ich war nur ihre in Ketten gelegte Bestie.«
Abbys Kopf fiel zurück an Dantes Brust. »Mein Gott, was mache ich bloß?«
Er legte seine Wange auf ihren Scheitel und gab sich bereitwillig ihrer süßen Wärme hin. »Ich habe einen Vorschlag.«
»Und welchen?«
»Wir müssen die Hexen suchen.«
Sie hielt erschrocken den Atem an. »Die Hexen? Du meinst, die Frauen, die diesen Phönix in Selena gesteckt haben?«
Dantes Gesicht versteinerte. Selbst nach über dreihundert Jahren erinnerte er sich noch lebhaft an alles, was er durch den Hexenzirkel hatte erdulden müssen. An den schwarzen Kerker. An die Ketten, die ihm sein Fleisch versengt hatten. An die Magie, die ihn wie einen kastrierten Hund an die Leine gelegt hatte.
Sein brennender Hass hatte nicht nachgelassen, aber seine Besorgnis um Abby war größer. Es gab sonst niemanden, der ihr helfen konnte.
»Ja.«
»Aber die sind doch sicher mittlerweile tot?«, fragte sie irritiert.
»Ihre Kräfte sind mit dem Phönix verbunden. Solange er lebt, leben sie auch.«
»Und du meinst, sie könnten mir helfen?«
»Vielleicht«, meinte er vorsichtig.
»Dann lass uns zu ihnen gehen.« Sie packte ihn am Kragen seines Seidenhemdes. »Wo sind sie?«
»Da bin ich mir nicht ganz sicher.«
»Was meinst du damit?«
»Wie ich schon sagte, Selena behielt die meisten ihrer Geheimnisse für sich, aber ich weiß, dass sie sich gelegentlich mit den Hexen traf. Sie haben wohl einen Hexenzirkel in der Nähe.«
»In Chicago?«
Dante schüttelte leicht den Kopf. Er hatte schon über die möglichen Orte nachgedacht. »Nicht in der Stadt. Sie brauchen einen Platz, der sehr abgelegen ist.«
»Warum?«
Dante zögerte. Obwohl er zu der Entscheidung gelangt war, Abby die Wahrheit nicht zu verschweigen, räumte er ein, dass keine Notwendigkeit bestand, ihr jede kleinste Einzelheit zu schildern. Nicht, wenn diese sie mit Sicherheit noch mehr aufregen würden.
»Sie führen... bestimmte Riten durch, bei denen sie keine Zeugen haben möchten.«
Zum Glück war Abby so abgelenkt, dass sie nicht über die genaue Art der Riten nachdachte. Stattdessen kaute sie auf ihrer Unterlippe herum, bis Dante vor Begierde danach erzitterte, sie mit einem sanften Kuss zu beruhigen.
»Wie in aller Welt können wir sie dann finden?«
Jetzt war es Dante, der abgelenkt war. Der Duft von Abbys seidenweicher Haut, ihre sanften Kurven, die köstliche Hitze, die seine Leidenschaft erweckte.
»Du solltest das mir überlassen«, murmelte er. Seine Hände glitten über ihre Wirbelsäule, um auf der Wölbung ihrer Hüfte liegen zu bleiben. »Was würdest du zu einem heißen Bad sagen?«
»Ein Bad?« Das wilde, dringliche Gefühl ließ nach, als sich eine träumerische Sehnsucht auf Abbys Gesicht ausbreitete.
»Ich würde sagen, das klingt paradiesisch.«
Dante stellte sich einen völlig anderen Anlass für diesen träumerischen Gesichtsausdruck vor als heißes Wasser und Seifenschaum. Etwa seine Hände, die über diese seidige Haut glitten und diese honigfarbenen Locken zerzausten, während seine Lippen Pfade zogen, die nie zuvor gezogen worden waren.
Unvermittelt trat er einen Schritt zurück, da er es ganz und gar nicht gewohnt war, seine Leidenschaft zu unterdrücken. Die Hexen mochten ihm vielleicht die Lust gestohlen haben, Jagd auf Menschen zu machen, aber jede andere Lust blieb außerordentlich funktionstüchtig.
»Komm mit mir, Liebste. Du sollst dein Bad bekommen.«
Dante drehte sich auf dem Absatz um und ging auf eine Tür zu, die durch die Holzverkleidung geschickt verborgen wurde. Er bediente einen versteckten Hebel, und die Tür schwang auf und enthüllte einen schmalen Gang. Mit einem Blick über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass Abby ihm folgte, führte er sie an diversen Schlafzimmern vorbei zu dem großen Badezimmer.
Er knipste den Lichtschalter an, und gedämpftes Licht erfüllte den Raum. Dante hörte hinter sich ein leises Aufkeuchen, dann betrat Abby mit einem benommenen Ausdruck im Gesicht das Zimmer.
Einen Augenblick betrachtete Dante sie verblüfft, aber als sie die Hand ausstreckte und damit über die Marmorwanne fuhr, die die Größe eines kleinen Schwimmbeckens besaß, umspielte ein Lächeln seine Lippen. Natürlich. Für jemanden, der nicht an Vipers extravaganten Geschmack gewöhnt war, war die perfekte Nachbildung eines griechischen Bades wohl ziemlich überraschend. Und vielleicht auch ein wenig überwältigend.
»Viper ist nie subtil«, meinte Dante und ging an Abby vorbei, um die Wasserhähne - in Form von Göttinnen - aufzudrehen.
»Es ist wunderschön.«
»Ja.«
Dante hielt inne, um eine großzügige Menge duftenden Schaumbads in das fließende Wasser zu gießen, und drehte sich dann wieder zu Abby um. Entschieden begann er damit, ihr das schmutzige Hemd aufzuknöpfen.
Abbys Augen weiteten sich, als er gewandt kurzen Prozess mit den Knöpfen machte und ihr das Kleidungsstück von ihrem schlanken Körper streifte. Ohne zu zögern, öffnete er auch ihre Khakihose und ließ diese an ihren langen Beinen entlang nach unten gleiten.
Schließlich gelang es Abby, mit rauer Stimme zu fragen: »Dante, was machst du da?«
Er ließ sich mit einer fließenden Bewegung auf die Knie nieder, zog ihr die Schuhe aus und ebenso die Hose, um sie auf einen Haufen in die Ecke zu werfen.
»Ich bereite Sie für Ihr Bad vor, meine Dame«, antwortete er und erhob sich, um den Spitzenbüstenhalter in Angriff zu nehmen.
Instinktiv hob sie ihre Hände, um zu protestieren.
»Du kannst nicht...«
Sein Blick traf auf ihren, als er ihre Hände beiseiteschob und den Verschluss ihres Büstenhalters mit einer einzigen Bewegung öffnete.
»Vertraue mir, meine Liebste.«
Abby schluckte schwer, aber da sie eindeutig zu erschöpft war oder vielleicht auch so verloren in dem zauberhaften Moment wie er, wehrte sie sich nicht länger. Er sah sie unverwandt an, während er nach ihrem Seidenslip griff und ihn langsam nach unten streifte, bevor er Abby schließlich hochhob und sie zu dem wartenden Badewasser trug.
Vorsichtig und zärtlich ließ er sie ins Wasser gleiten und griff nach einem Waschlappen, der zu einer hübschen Muschel gefaltet war.
Dante war gezwungen, sich auf den Marmorboden zu knien, als er langsam damit begann, Abbys Haut zu säubern. Ohne die Härte unter seinen Knien oder den warmen Dampf zu bemerken, der dafür sorgte, dass ihm das Seidenhemd am Körper klebte. Jeder seiner Gedanken war erfüllt von der sinnlichen Freude daran, diese Frau zu berühren.
»So glatt«, sagte er heiser und rieb mit dem Waschlappen über ihren Arm. »Wie warmes Elfenbein.«
Abby ließ es zu, dass ihr Kopf nach hinten fiel und sich ihre Augen schlossen. »Das fühlt sich wunderbar an.«
Wunderbar. Ja. Und verführerisch. Sündhaft. Und gefährlich.
Allmählich erwachte in Dante ein brennender Hunger, während er seine selbst auferlegte Folter weiterführte. So wie Abby in der Wanne lag, die für die Anbetung von Göttinnen erbaut worden war, hätte sie mit ihren langen, schlanken Armen und Beinen und den Honiglocken, die um ihr zartes Gesicht im Wasser trieben, vom Olymp selbst heruntergeschwebt sein können.
Sorgfältig darauf bedacht, nichts zu tun, was sie aus ihrer Versunkenheit hätte reißen können, wusch Dante zuerst Abbys Haut und dann ihre Locken. Ihre Wärme erfüllte seinen kalten Körper. Erfüllte ihn und brachte sein Blut zum Kochen, während er den Rest Shampoo aus ihrem Haar spülte.
Sich kaum dessen bewusst, was er tat, berührte Dante sanft Abbys Gesicht und zeichnete ihre Wangen mit seinen Daumen nach.
Er bewunderte ihre zarte Schönheit mit stummer Genugtuung. Dies war nicht die alberne physische Schönheit, die von den Menschen so hoch geschätzt wurde und jeden Augenblick verändert werden konnte. Zum Teufel, jeder konnte diese Art von Schönheit beim plastischen Chirurgen kaufen. Abby indes verfügte über eine spirituelle Schönheit, die mit unwiderstehlicher Macht nach ihm rief.
Langsam, ganz langsam senkte er den Kopf und streifte mit seinen Lippen über ihren Mund. Einen Augenblick lang schien sie sich zu versteifen, aber als er sich gerade darauf vorbereitete, sich zurückzuziehen, öffnete sie wie als stumme Einladung die Lippen.
Die Kapitulation war so sanft wie ein Flüstern. Dennoch fühlte Dante, wie ganz plötzlich eine Woge der Begierde durch seinen Körper schwappte.
Verdammt noch mal. Er hatte seit Wochen von dieser Frau geträumt und sich nach ihr gesehnt. Seit Monaten. Nun erzitterte er, nur weil es so ungeheuer viel Kraft kostete, sich selbst davon abzuhalten, sie zu verschlingen.
Er konnte Seife auf ihren Lippen schmecken und die Hitze ihres Blutes riechen. Eine süße, verbotene Magie strömte durch seinen Körper, als seine Küsse intensiver wurden.
Unter ihm gab Abby einen einwilligenden Seufzer von sich, während sie ihre feuchten Anne hob, um sie ihm um den Hals zu schlingen. Dante stöhnte zustimmend. Er genoss die wilden Gefühle, die seinen Körper überfluteten. Seine Leidenschaft hatte schon immer heiß gebrannt. Dante hatte im Laufe der Jahrhunderte an zahllosen Frauen Gefallen gefunden. Aber noch nie war seine Erregung mit einer solch gnadenlosen Macht erweckt worden.
Es war, als habe Abby einen schlummernden Hunger geweckt, der sich durch nichts anderes würde stillen lassen als durch absolute Inbesitznahme.
Dante öffnete Abbys Lippen mit seiner Zunge und erforschte ihre feuchte Mundhöhle. Er brauchte mehr. Ihr Körper drängte sich an ihn. Ihre Beine schlangen sich um seine Hüfte. Ihre Hüften hoben sich, um ihn tief in ihren Körper aufzunehmen.
Ihre Finger gruben sich in sein Haar, während sein Mund sich bewegte und einen Pfad aus sengender Hitze auf ihrer Wange und ihren Hals hinab zeichnete.
Er hatte das Gefühl zu ertrinken, als er mit den Lippen den wilden Puls an ihrem Hals berührte und mit seinen Händen an ihren schlanken Kurven entlang nach unten wanderte.
Abby erzitterte, aber dann legte sie plötzlich ihre Finger um sein Gesicht, und ihr Körper wölbte sich nach oben.
»Dante?«, fragte sie leicht verwirrt.
Dante, der sich in seiner heißen Leidenschaft verloren hatte, wollte ihr Flüstern ignorieren. Es wäre so leicht. Er konnte fühlen, wie sie unter seinen Händen sehnsüchtig erbebte - es war eine Sehnsucht, die seiner eigenen entsprach. Warum sollte er nicht für die süße Erlösung sorgen, die so verlockend nahelag?
Es war die störende Erinnerung an seine eigenen Worte, die ihn dazu brachte, langsam den Kopf zu heben.
Vertraue mir, das hatte er ihr befohlen, als er sie für ihr Bad vorbereitet hatte.
Verdammt. Er hatte sie dazu gedrängt, ihre natürliche Vorsicht über Bord zu werfen und sich in seine Hände zu begeben. Das war für eine Frau wie Abby vielleicht das Schwierigste, was es überhaupt gab. Wie groß seine Begierde nach ihr auch sein mochte, er konnte kein nachträgliches Gefühl des Verrats riskieren. Ihrer beider Leben hing davon ab, dass sie ihm vertraute.
Dante stand grimmig auf, wobei er Abby vorsichtig in die Arme nahm und sie in ein warmes Badetuch hüllte. »Komm, es wird Zeit, dass wir dich ins Bett stecken.«
Abbys Körper versteifte sich kurz, als sei sie verlegen wegen ihrer unverhohlenen Reaktion auf seine Berührung. Dann ließ sie ihren Kopf mit einem reuevollen Seufzer auf Dantes Schulter fallen.
»Ich bin so müde«, murmelte sie.
»Ich weiß, meine Süße. Wir werden uns heute hier ausruhen.«
Er küsste sie geistesabwesend auf den Scheitel, während er durch die Tür ging, die das Badezimmer direkt mit dem großen Schlafzimmer verband. Obwohl es längst Morgen war, störte kein einziger Lichtstrahl die perfekte Dunkelheit. Trotzdem war es nicht schwer für Dante, seinen Weg über den dicken Teppichboden zum Bett zu finden. Er schob die Decken beiseite, legte Abby auf das Satinbettlaken und zog die Daunendecke über sie.
Im Begriff zu gehen, war er überrascht, als Abby plötzlich die Hand ausstreckte und nach seiner griff.
»Dante?«
»Ja?«
»Sind wir hier sicher?«
»Nichts wird dir hier zustoßen.«
»Und«, sie schwieg einen Moment, als ob sie mit sich selbst kämpfte, »du bist in der Nähe?«
Ein kleines Lächeln glitt über sein Gesicht. Er wusste, dass diese Frau lieber eine Wurzelbehandlung bekäme, eine schlechte Dauerwelle und Zellulitis hätte, als ihre Verletzlichkeit zuzugeben.
»Ich werde direkt an deiner Seite sein, Liebste«, versprach er ihr, während er sich auf das Bett legte und sie in die Arme nahm. Er deckte sie beide mit der Decke zu und ließ es zu, dass ihre Wärme ihn einhüllte. »Bis in alle Ewigkeit.«
Die ehemals stolze viktorianische Kirche mit den Buntglasfenstern und den Kirchenbänken aus Nussbaumholz war schon seit langer Zeit zerstört. Mit der Schließung der Papierfabrik hatte die kleine Stadt Hoffnung und Glauben aufgegeben und war schließlich zu neuen Ufern aufgebrochen. Selbst der angrenzende Friedhof war nun nur noch eine Ruine mit eingestürzten Grabmälern und hartnäckig wachsendem Unkraut.
Die riesigen Katakomben unter den Überresten von Steinen und vergessenen Leichnamen jedoch wurden mit höchster Sorgfalt gepflegt.
Keine Ratte würde es wagen, das Labyrinth aus Tunneln und Steinkammern zu betreten, die im Laufe der Zeit so glatt wie Marmor poliert worden waren. Keine Spinnwebe würde die spartanische Einfachheit stören.
Es war kaum das, was man von dem dunklen Tempel eines Dämons erwarten würde. Aber andererseits war Rafael, der Meister des Kultes, auch kein normaler Dämon.
In Wahrheit war er überhaupt kein Dämon.
Der große, dünne Mann mit dem hageren Gesicht war einst ebenso ein langweiliger Sterblicher gewesen wie alle anderen Menschen. Aber er hatte seine Menschlichkeit und seine Seele schon vor Jahrhunderten dem Fürsten der Finsternis geopfert.
Zur Belohnung für seine kalte Grausamkeit war er schnell in eine Machtposition aufgestiegen. Doch es war eine Macht, die seit der Ankunft der Hexen und ihres grässlichen Phönix beinahe allen Einfluss verloren hatte.
Rafael schritt in seiner dunklen Kammer hin und her und strich geistesabwesend mit den dünnen Fingern über den schweren Silberanhänger, der ihm an einer Kette um den Hals hing.
So vieles hing von ihm ab.
Von seinen Taten in dieser Nacht.
Er konnte nicht versagen.
Als er den Klang von sich nähernden Schritten hörte, die er erwartet hatte, ließ Rafael sein Gesicht zu einer kalten, unerschütterlichen Maske erstarren. Nun war es wichtiger denn je, sich des tödlichen Rufes zu bedienen, den er sich im Laufe unzähliger Jahre erworben hatte.
Es klopfte zaghaft. Rafael rief dem Besucher zu, er möge eintreten.
Dann begutachtete er den jungen Eleven genau.
Er stand so still und abweisend wie Granit da, während er zusah, wie der Eleve die Tür schloss und in die Mitte des Raumes trat. Der jüngere Mann besaß noch nicht den rasierten Kopf eines Bekehrten. Eine solche Ehre wurde ihm nicht zugestanden, bis er die Prüfungen überlebt hatte. Viele kamen, um dem Fürsten zu huldigen, aber nur wenige überlebten.
Rafaels scharfer Blick durchschaute das bescheidene Auftreten des jüngeren Mannes mit Leichtigkeit und erkannte den Scharfsinn in seinem Gesicht und die Gerissenheit in den blassen Augen.
O ja, er würde sich recht gut eignen, entschied Rafael innerlich lächelnd.
Der Eleve, der den gnadenlosen Blick eindeutig zermürbend fand, trat nervös von einem Fuß auf den anderen. »Ihr habt mich rufen lassen, Meister Rafael?«
»Ja, Eleve Amil. Bitte nimm Platz.« Rafael wartete, bis der Schüler sich auf den unbequemen Holzstuhl gesetzt hatte. Dann trat er langsam vor seinen Gast. »Hast du es bequem?«
Amil rutschte mit einem leichten Stirnrunzeln hin und her.
»Ja, vielen Dank.«
»Sei ganz ungezwungen, mein Sohn«, sagte Rafael und faltete seine Hände in den Ärmeln seiner Robe. »Trotz der anhaltenden Gerüchte unter den Brüdern pflege ich keine Ministranten zum Abendessen zu verspeisen. Nicht einmal jene, die es gewagt haben, die dunklen Künste auszuüben, welche selbst uns untersagt sind.«
Es folgte ein Moment des Schocks, bevor der junge Mann abrupt vom Stuhl glitt und auf den Knien landete.
»Meister, vergebt mir«, bat er mit zitternder Stimme. »Es war reine Neugierde. Ich wollte keinen Schaden anrichten.«
Unwillig verzog Rafael das Gesicht, als der Dummkopf den Saum seiner Robe zu zerknittern drohte. Es war mehr Glück als Verstand gewesen, was ihn hatte entdecken lassen, dass der allzu ehrgeizige Eleve sich aus dem Turm geschlichen hatte, um schwarze Magie auszuüben. Sein erster Impuls war gewesen, ihm die Kehle herauszureißen. Das wäre nicht nur eine passende Strafe gewesen, sondern hätte Rafael auch ein großes Maß an Vergnügen bereitet.
Aber am Ende hatte er gezögert. Ein Mann in seiner mächtigen Position benötigte stets treue Diener. Und kein Diener war treuer als derjenige, der wusste, dass ihn nur ein Atemzug vom Tode trennte.
»Oh, steh auf, du Wurm.«
Zitternd zwang sich der junge Mann, seinen Platz wieder einzunehmen, wobei er Rafael argwöhnisch beobachtete.
»Werde ich getötet?«
»Darin besteht die Strafe.«
»Natürlich, Meister«, stimmte der Eleve gehorsam zu, obwohl seine Aufrichtigkeit bezweifelt werden durfte.
»Die schwarze Magie ist kein Spielzeug. Sie bedeutet eine Gefahr für dich und jene um dich herum. Du hast uns alle mit deiner Dummheit gefährdet und die Entdeckung unseres Tempels riskiert.«
»Ja, Meister.«
Ein harter Zug zeigte sich um Rafaels schmale Lippen.
»Aber du bist ehrgeizig, nicht wahr, Amil? Du sehnst dich danach, die Macht auszuüben, die direkt außerhalb deiner Reichweite liegt?«
Der Blick aus den hellen Augen zuckte heimlich zu Rafaels mächtigem Medaillon, bevor sich der junge Mann in Erinnerung rief, dass es auf Messers Schneide stand, ob er zum Frühstück verspeist wurde. Oder ob ihn ein noch schlimmeres Schicksal erwartete.
»Nur wenn der Fürst es so bestimmt.«
»Ich spüre deine Begabung. Sie liegt tief in dir verborgen. Zu schade, dass sie verschwendet wurde, bevor sie zu ihrem vollen Potenzial erblühen konnte.«
»Bitte, Meister. Ich habe meine Lektion gelernt. Ich werde nicht wieder vom Weg abweichen.«
Rafael zog langsam seine Augenbrauen in die Höhe.
»Und du glaubst, dass ich deinem leeren Versprechen trauen sollte. Du, der du bereits einen Verrat begangen hast?«
Amil, der möglicherweise einen Hoffnungsschimmer sah, beugte sich vor. Sein schmales Gesicht war gerötet. »Alles, worum ich bitte, ist eine zweite Chance. Ich werde alles tun, was Ihr von mir verlangt.«
»Alles? Das ist ein recht vorschnelles Versprechen.«
»Das macht mir nichts aus. Sagt mir nur, was ich tun muss.«
Rafael gab sich den Anschein, die Bitte zu überdenken. Natürlich hatte er gewusst, dass der erbärmliche Eleve seine Seele verkaufen würde. Er hatte sich darauf verlassen. In mancher Hinsicht erinnerte ihn der Jüngling mit seinem brennenden Hunger nach Wissen an ihn selbst. Aber im Unterschied zu diesem Dummkopf hatte er genügend Verstand besessen, um seine geheimen Studien gut verborgen zu halten, und die Weisheit, sich niemals der Macht eines anderen auszusetzen.
»Vielleicht könnte ich in Erwägung ziehen, dieses eine Mal nachsichtig zu sein«, sagte er langsam. »Unter einer Bedingung.«
»Seid gesegnet, Meister«, keuchte Amil. »Seid gesegnet.«
»Ich glaube nicht, dass du noch immer so dankbar sein wirst, wenn du meine Bedingung hörst.«
»Was wünscht Ihr?«
Gemessenen Schrittes begab sich Rafael zu seinem Platz hinter dem enormen Schreibtisch und setzte sich hin. Er verschränkte seine Finger unter dem Kinn und betrachtete seinen Gast mit einem durchdringenden Blick. Die nächsten Augenblicke würden über sein Schicksal entscheiden.
Ob er als Erlöser des Fürsten der Dämonen gefeiert werden würde oder als arroganter Taugenichts gälte. Er konnte sich keinen Fehler leisten.
»Zunächst wünsche ich, dass du mir erzählst, was du über den Phönix weißt.«
Verblüfft zwinkerte Amil mit den Augen. »Ich... ich nehme an, das, was sämtliche Wesen der Finsternis wissen. Vor etwa dreihundert Jahren versammelten sich mächtige Hexen, um den Geist des Phönix herbeizurufen und ihn in einen menschlichen Körper zu bringen. Die Präsenz der abscheulichen Bestie hat dafür gesorgt, dass der Fürst aus dieser Welt verbannt wurde und dass seine Lakaien machtlos wurden.«
»Ich bin nicht machtlos«, fuhr ihn Rafael verärgert an.
»Ich verstehe nicht.« Amil sah den älteren Zauberer voller Argwohn an. »Warum sprechen wir über den Phönix?«
»Weil dieser uns von unserem wahren Meister fernhält.«
Der jüngere Mann zuckte mit den Schultern.
»Er ist für uns verloren. Was können wir tun?«
Rafael gelang es kaum, seinen aufflammenden Zorn im Zaum zu halten.
Dummköpfe. Das ganze Pack. Während er hart gearbeitet und Opfer gebracht hatte, um seinen dunklen Herrscher zurückzuholen, hatten es die anderen zugelassen, dass die Verzweiflung sie übermannte. Sie waren nicht länger stolze Bestien, die Furcht und Schrecken unter den Sterblichen verbreiteten. Stattdessen huschten sie durch die Schatten wie tollwütige Tiere.
Sie widerten ihn an.
»Nein, mein Sohn. Der Fürst ist für die Welt nicht völlig verloren.«
»Was sagt Ihr da?«
»Das Gefäß wurde zerstört. Die Hexen besitzen nun nicht mehr die Herrschaft über den Phönix.«
Die blassen Augen des jungen Mannes weiteten sich vor Schreck.
»Das ist ein Wunder.«
»In der Tat.«
Der Eleve griff nach seinen Stuhllehnen. »Der Fürst wird bald befreit sein.«
»Nein.« Rafaels Stimme war hart. »Das Gefäß pflanzte den Geist in den Körper eines anderen Menschen. Der Phönix lebt noch, aber er ist geschwächt und verwundbar.«
»Er muss vernichtet werden. Und zwar schnell.«
Rafaels Miene verfinsterte sich, und seine dünnen Finger bewegten sich, um den schweren Anhänger an seinem Hals zu streicheln.
»Gewiss muss er vernichtet werden.«
»Und was wünscht Ihr von mir?«
»Ich will, dass du mir das Gefäß bringst. Und zwar lebendig.«
Der Eleve kniff berechnend die Augen zusammen. »Vergebt mir, Meister, aber wäre es nicht das Beste, die Lakaien zu beauftragen, den Phönix zu vernichten, bevor er seine Stärke wiedererlangen kann?«
Rafael verzog den Mund zu einem trockenen Lächeln. Wie die meisten, die nach Macht strebten, wendete Amil viel zu bereitwillig Gewalt an, wenn vielmehr List vonnöten war.
»Das wäre gewiss eine einfachere, wenn auch blutrünstigere Lösung«, stimmte er zu. »Aber bedenke dies, mein Sohn. Demjenigen wird eine große Ehre zuteil, der dem Meister den Phönix darbringt. Und ich hege die Absicht, diesen Ruhm zu dem meinen zu machen.«
Amil dachte einen Augenblick darüber nach, bevor er nickte. »Natürlich. Das ist ein kluger Plan. Aber warum ich? Warum übernehmt Ihr diese bedeutende Aufgabe nicht selbst?«
»Weil jemand dafür sorgen muss, dass die Hexen sich nicht einmischen. Ich bin der Einzige, der die Macht besitzt, sie herauszufordern.« Er zuckte mit den Achseln. »Und natürlich hast du mit Mächten herumgepfuscht, die dir dabei helfen werden zu entdecken, wo die Frau sich versteckt.«
Es folgte eine lange Pause, bevor Amil mit einem schwachen Lächeln seine Arme vor der Brust verschränkte.
»Dies ist eine gefährliche Sache, die Ihr von mir verlangt, Meister. Der Vampir beschützt das Gefäß mit Sicherheit. Ich riskiere mehr als bloß mein Leben.«
Rafael rang mit sich, um seinen Abscheu vor dem Mann zu verbergen, der lieber um Macht feilschte, als sie sich zu verdienen. Unglücklicherweise verfügte er über keine anderen Diener, die willens waren, Mächte zu beschwören, welche durch den Fürsten verboten worden waren.
Opfer mussten gebracht werden, wie er sich widerstrebend eingestehen musste.
Selbst wenn das bedeutete, gemeinsame Sache mit einem dermaßen erbärmlichen Dummkopf zu machen.
»Also wünschst du deine Belohnung zu erfahren?«, vergewisserte sich Rafael mit kalter Stimme.
»Ich bin ein praktisch veranlagter Mann.«
Opfer mussten gebracht werden.
Rafael war aufgebracht, aber behielt die Fassung. »Ich werde persönlich die Verantwortung für deine Ausbildung übernehmen. Du wünschst dir, dir dein Medaillon vor allen anderen zu verdienen? Ich kann dir das gewähren.«
Das Lächeln wurde breiter. »Und einen Anteil an der Dankbarkeit des Fürsten?«
Rafael warf einen kurzen Blick auf seine Hände und stellte sich vor, wie sie den Hals des gierigen Amil umfassten. Dann schüttelte er leicht den Kopf.
Die Zukunft hing von der bevorstehenden Nacht ab.
Er musste alles tun, was notwendig war, um die Rückkehr seines Meisters zu garantieren.
»So sei es.«
Der jüngere Mann stand auf. Genugtuung stand ihm in das schmale Gesicht geschrieben.
»Dann sind wir uns einig.«
Rafael erhob sich ebenfalls. Sein eigenes Antlitz war so hart und düster wie die Steinwände.
»Amil, enttäusche mich nicht. Du hast dem Tode bereits ins Auge geblickt. Sollte ich entdecken, dass du nicht in der Lage warst, die Aufgabe zu erledigen, die ich dir stellte, so wird der Tod die geringste deiner Sorgen sein. Verstehst du?«
Der Eleve besaß genügend Verstand, angesichts der Drohung zu erbleichen. »Ja.«
Rafael gestikulierte ungeduldig mit der Hand. »Dann geh. Du hast vieles zu tun, bevor die Sonne untergeht und der Vampir sich auf dem Höhepunkt seiner Kräfte befindet.«
Amil schlüpfte aus dem Raum, und Rafael drehte sich um, um in Richtung des Feuers zu schreiten, das mitten auf dem Fußboden brannte.
Der Fürst der Finsternis würde bald wieder seinen ruhmreichen Platz einnehmen.
Und er würde dabei die Führung übernehmen.
»Bald, mein Herrscher«, flüsterte er.